Radarmessungen: Welche Maßnahmen zur Reduzierung der Geschwindigkeit ist erfolgreich?
'Kind lief vor Auto!!'
Täglich sind solche Überschriften in den Tageszeitungen zu lesen!
Grund genug für den 'Allgemeinen Deutschen Fahrrad Club' (ADFC), den 'Bund für Umwelt und Natur in Deutschland' (BUND), den Verkehrsclub Deutschland' (VCD) und die Partei 'Bündnis 90 / DIE GRÜNEN', die eingerichteten Verkehrsberuhigungsmaßnahmen auf ihre Tauglichkeit hin untersucht zu lassen. Auch sollte festgestellt werden, ob die Aussagen von BürgerInnen und AnwohnerInnen stimmen, wenn es heißt, es wird zu schnell gefahren.
Unfälle in Siegen-Wittgenstein: Im Jahr 1994 gab es im Kreis Siegen-Wittgenstein 149 verletzte Radfahrer. 1995 waren es 125 verletzte und ein getöteter Radfahrer, davon 32 Kinder.
Durch die Vielzahl der Messungen sollten unabhängig Daten zusammengetragen werden, da die Meßergebnisse von Polizei und Kommunen nicht immer eingesehen werden können.
Die Verbände Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club (ADFC), Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Verkehrsclub Deutschland (VCD) und Bündnis 90 / DIE GRÜNEN haben bei der Erstellung der Untersuchung mitgearbeitet.
Kreuztal-Fellinghausen, Heesstraße
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Seitdem die neue Brücke über die Bahnstrecke fertig ist, dient dieses Stück Heesstraße nur noch der Zufahrt zur Mühlbergsiedlung. Die Straße ist für den heutigen Verkehr zu breit: Mehr als 8 Meter sind für eine Wohnsammelstraße zu viel.
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Sie
wurde in ein Zone-30-Gebiet einbezogen, aber für Autofahrer ist es wenig einsichtig, warum hier nur 30 km/h gefahren werden darf. Deutlich liegen die Geschwindigkeiten über 30 km/h. Als Durchschnitt wurden 46km/h ermittelt und ein Spitzenwert von 68km/h. Damit ist diese Straße eindeutig zu breit für die Zone 30. |
Kreuztal-Erlersiedlung, Zum Hammerseifen
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Diese Straße kann als Wohnsammelstraße angesehen werden, ist jedoch hierfür eindeutig zu breit. Es wurden dementsprechend hohe Geschwindigkeiten erwartet. Das Geschwindigkeitsprofil beweist, daß diese Straße nicht als Zone-30-Gebiet erkannt wird. Nur 40% der Autofahrer fuhren weniger als 30 km/h. Der Durchschnittswert lag bei 37km/h. 13% fuhren sogar schneller als 50km/h. Abends und nachts steigen die Geschwindigkeiten in den Wohnstraßen noch einmal um 5 bis 10 Stundenkilometer an.Auch auf dieser Straße liegen die Geschwindigkeit deutlich über den erlauben 30km/h. Die Planungsfehler in der Vergangenheit zeigen heute ihre Folgen. |
Kreuztal-Osthelden, Alter Weg
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Der Alte Weg in Osthelden wurde verkehrsberuhigt umgebaut. In einer Mischfläche wurden Fahrbahn und Bürgersteig zusammengelegt. Durch Verkehrsinseln, Einbuchtungen und versetztes Parken reicht der Blick nur wenige zehn Meter weit. Für die Oberfläche der Straße wurde ein erbundpflaster gewählt, das dem Autofahrer durch ein erhöhtes Wageninnengeräuch eine höhere Geschwindigkeit vortäuscht. Eine gelungene Baumaßnahme für Wohnstraßen. Hier interessierte besonders, welche Geschwindigkeiten auftreten und ob diese Aus- bzw. Umbaumaßnahme als Vorbild für andere Wohnstraßen gelten kann. Leider liegen auch hier viele Autofahrer mit ihren Geschwindigkeiten über dem zulässigen Wert von 7 bis 10km/h. Ein möglicher Grund könnte sein, daß das Verkehrsschild 'Verkehrsberuhigter Bereich', was die Geschwindigkeit angeht, nicht eindeutig genug ist, viele Autofahrer sehen es für eine andere Beschilderung der Zone 30 an. Bemerkenswert erscheint allerdings die Tatsache, daß die bauliche Gestaltung die Durchschnittsgeschwindigkeit auf 24km/h und die Höchstgeschwindigkeit auf 33km/h senkte. |
Zusammenfassung:
Als Ergebnis der Meßaktionen kann folgendes festgehalten werden: Liegt der Straßenquerschnitt unter 6 Meter Breite, sind die gefahrenen Geschwindigkeiten deutlich niedriger. Bauliche Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung unterstützen erfolgreich die Reduzierung der Geschwindigkeiten.
Durchführung der Messungen
- Meßzeitraum: Das Radarmeßgerät stand 21 Tage vom 19. Mai 1996 bis 10. Juni 1996 zur Verfügung.
- Meßorte: Es wurden Straßen geprüft, deren Querschnitt zu breit für 'Zone 30' ist sowie verkehrsberuhigt umgebaute Straßen. Meßorte waren in Netphen, Hilchenbach, Kreuztal, Siegen, Drolshagen, Wenden, Kirchhundem, Altenhundem und Wilnsdorf, besonders vor Kindergärten und Schulen. Aus Interesse wurden auch einige Messungen nachts durchgeführt, so z.B. auf der HTS (Stadtautobahn in Siegen) in Geisweid.
- Organisation der Messungen: Nachdem der VCD durch die Presse angekündigt hatte, Bürgern das Radarmeßgerät zur Verfügung zu stellen, wurde mit den interessierten Anwohnern in verschiedenen Straßen gemessen.
- Die Zivilcourage der Bürger: Durch die Medien wurden die Radarmessungen der Verbände angekündigt. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. Einige BürgerInnen nahmen an, die Geschwindigkeitsübertretungen würden geahndet. 36 von Ihnen griffen sogar zum Telefon und beschwerten sich zum Teil sehr heftig. Andere Bürger baten um Messungen in ihren Wohnstraßen. Sie stießen in der Nachbarschaft häufig auf Ablehnung und sahen dann von einer eigenen und selbst organisierten Messung ab. In den Fällen, in den doch eine Messung zustande kam, waren es oft die eigenen Nachbarn, die die Geschwindigkeitsbeschränkungen nicht einhielten. Die Anwohner kennen die Straßenverhältnisse und fahren deshalb oft schneller. Ortsunkundige tasten sich vorsichtiger durch Wohngebiete und sind deshalb langsamer.
- Das subjektive Einschätzen von Geschwindigkeiten: Ein Großteil der Messungen erbrachte erstaunliche Ergebnisse. Die Aussagen 'es wird zu schnell gefahren' trafen meist nicht zu! Dies begründete den Verdacht, daß die Einschätzung der Geschwindigkeiten stark vom subjektiven Empfinden der Anwohner beeinflußt wird. Zur Überprüfung wurde ein Feldversuch unternommen: Zehn interessierte Bürger schätzten unabhängig von der mit der Radaranlage gemessenen Geschwindigkeit die Geschwindigkeit der erfaßten Fahrzeuge. Es wurden je 100 Autos an einer Steigung bergauf und bergab, sowie auf ebener Strecke ausgewählt. Wie aus dem Diagramm zu ersehen ist, wird die Geschwindigkeit bergfahrender Fahrzeuge stärker überschätzt. Die Fahrweise bergan in einem niedrigen Gang und damit verbundenem lauten Motorgeräusch führte zu durchschnittlich 10 bis 15% Überschätzung. Bei talfahrenden Autos ergab sich der umgekehrte Effekt. In einem weiteren Versuch wurde die Wahrnehmung der Fahrgeräusche unterbunden (Musik über einen Walkman). Die Schätzungen der Testpersonen näherten sich jetzt stärker den Meßergebnissen an. Darüber hinaus beeinflussen weitere Parameter, z.B. die Sorge um die Sicherheit der eigenen Kinder, deren Größenordnungen nur schwer feststellbar sind, die Einschätzungen der betroffenen Bürger.
- Beobachtungen während der Messungen: Während die Messungen durchgeführt wurden, konnten über die Verkehrssituation und die Verkehrsteilnehmer vielfältige Beobachtungen erfaßt werden. Auffällig wurden einige AutofahrerInnen, die mehrmals am Meßstandort vorbeifuhren, um 'die Lage' genau zu analysieren. Andere kamen zu den Datenerfassern zurück, um gleich zu bezahlen oder um einen Preisnachlaß auszuhandeln. Unter den Geschwindigkeitsübertretern wurden auffällig häufig junge Autofahrer beobachtet. Erstaunlicherweise auch junge Frauen, die mit ihren Kindern im Auto langsam fuhren. Wenn diese jedoch am Kindergarten oder an der Schule abgesetzt worden waren, fuhren auch sie deutlich schneller. Taxifahrer überschritten die Geschwindigkeitsbeschränkungen häufiger, wenn sie keine Fahrgäste transportierten. Die an ihrer orangenen Farbe erkennbaren Fahrzeuge eines städtischen Bauhofs hielten sich tagsüber an die 'Zone 30', jedoch abends vor Feierabend gab es scheinbar 'kein Halten' mehr. Offroad-Fahrzeuge waren auffällig häufig in der Gruppe von Fahrzeugen vertreten, die über der zulässigen Geschwindigkeit lagen.
Es wurden auch Versuche durchgeführt, wie sich Geschwindigkeiten ändern, wenn die Meßanlage versteckt oder öffentlich aufgestellt wurde. Diese Untersuchung wurde auf einer Straße durchgeführt, auf der ein dichter Autoverkehr stattfand. Ca. 5 Minuten nach Aufstellung waren die Geschwindigkeiten im erlaubten Rahmen. Wurde die Anlage dann hinter einem Sichtschutz versteckt, stiegen die Geschwindigkeiten auf den alten Wert. Dieser Effekt wurde an mehreren Orten wiederholt gemessen.
An Standorten von stationären Blitzautomaten wurden vor und hinter dem Automat Messungen durchgeführt. Ortskundige AutofahrerInnen hielten sich unmittelbar vor dem Automaten an die Geschwindigkeitsbeschränkung, jedoch nach dem Gerät stiegen die Geschwindigkeiten wieder deutlich an. Ein ähnlicher Effekt war an Standorten von mobilen Überwachungsanlagen festzustellen, auch wenn diese zum Zeitpunkt der Messungen nicht installiert waren, z.B. auf der HTS in Buschhütten.
- Anzahl der Messungen: Es wurde an mehr als 200 Orten gemessen. Nicht alle Messungen ergaben aussagekräftige Ergebnisse, wegen der zum Teil zu geringen Verkehrsdichte oder auch der Sichtbarkeit der Anlage. Sie wurden nicht weiter betrachtet. Für die Dokumentation wurden 50 Beispiele ausgewählt und ausgewertet.
- Datenerhebung: Den Personen, die die Messungen durchführten, stand hierfür ein einheitlicher Erhebungsbogen zur Verfügung. Im Formularkopf wurden Ort, Straße und Datum erfaßt. Weitere Daten waren Straßenbreite, Besonderheiten, Fahrtrichtung, Witterung sowie Beginn und Ende der Messung. Die Ergebnisse der Messungen wurden in einer Tabelle in Stufen von jeweils 5 km/h festgehalten. Führten mehrere Personen eine Messung durch, wurden die AutofahrerInnen in alt/jung und Männer/Frauen unterteilt.
- Auswertung: Die Daten wurden in einem Diagramm zusammengestellt. Die wichtigen Daten sind zusätzlich im Text erläutert, z.B. die Zahl der gemessenen Fahrzeuge, die Durchschnittsgeschwindigkeiten, die Maximalgeschwindigkeiten und für Verkehrs-Experten die v85. (v85 ist die Geschwindigkeit, die von 85% der AutofahrerInnen eingehalten wird) Für die Verbände ist dieser v85-Wert nicht sehr aussagekräftig. Sie erwarten auf einer Straße in 'Zone 30', dass die Geschwindigkeit auch nicht über 30 km/h liegt.
- Schlußfolgerung: Die Messungen und Auswertungen haben deutlich gezeigt, dass in den letzten Jahren Städte und Ortschaften 'autogerecht' ausgebaut wurden. Viele Straßen sind nach heutigem Erkenntnisstand zu breit. Wohnstraßen in 'Zone 30' mit zum Teil deutlich mehr als 10m Breite sind nicht mehr akzeptabel, z.B. Hammerseifen, Zitzenbachstraße in Kreuztal. Sie verleiten die AutofahrerInnen zu hohen Geschwindigkeiten, die dann durch die Polizei mit Kontrollmaßnahmen und Personaleinsatz wieder reduziert werden müssen. Es könnte der Eindruck entstehen, die Polizei messe auf breiten Straßen besonders gerne, um Einnahmen und Bußgelder 'sprudeln' zu lassen. Der Bürger empfindet dies zu Recht als Ärgernis.
- Forderungen an Stadtplaner/Politiker: Die Verbände fordern einen Rückbau zu breiter Straßen in Wohngebieten, verkehrslenkende Maßnahmen an Gefahrenpunkten, insbesondere vor Schulen, Kindergärten und Alteneinrichtungen. Weitere Einbauten von Bodenwellen und anderen Schikanen sollten jedoch unterbleiben, da mit ihnen nicht die gewünschten Reduzierungen der Geschwindigkeiten erzielt werden konnten. Verschiedene Kommunen erreichten durch komplette Umgestaltungen des Straßenraumes gute Erfolge. Die AutofahrerInnen dürfen nicht den Eindruck gewinnen, daß Verkehrsberuhigungsmaßnahmen gegen sie gerichtet sind, und zu aggressiver Fahrweise verleitet werden.
Positiv hat sich z.B. der provisorische 'kleine' Kreisverkehr an der Kreuzung Waldstraße/ Hammerseifen/ Eggersten-Ring in Kreuztal auf die Geschwindigkeiten ausgewirkt.
Der VCD Kreisverband wird in den nächsten Monaten verschiedene Vorschläge erarbeiten und der Öffentlichkeit vorstellen.
Zu bestellen beim VCD-Siegen-Wittgenstein-Olpe
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